Zum Freitag, den 26.01.24 organisierten eine große Bandbreite an zivilgesellschaftlichen Gruppen und Organisationen in Marburg eine Demo mit dem Titel „Gegen die AfD! Für ein solidarisches Miteinander statt Rassismus und Hetze“. Unser Redebeitrag war folgender:
Hallo liebe Mitstreiter:innen,
Die Veröffentlichung des Correctiv-Magazins zu dem Treffen in Potsdam, bei dem sich unter anderem AFD-Funktionäre und Mitglieder der Werteunion über Deportationspläne von Menschen mit Migrationshintergrund berieten, hat gesellschaftlich zu recht für einen großen Aufschrei gesorgt. Überall in Deutschland gehen tausende Menschen auf die Straße und positionieren sich gemeinsam gegen Rechtsextremismus.
Als Antifaschist:innen begrüßen wir natürlich die bundesweiten Proteste. Zu sehen, wie viele Menschen plötzlich auf die Straße gehen, gibt Hoffnung, macht gleichzeitig aber auch wütend.
Wir stehen zwiegespalten hier.
Zum einen in Bezug auf die Gruppen, die zu dieser Demo eingeladen wurden. Ein breites Bündnis gegen rechts ist wichtig, aber was ist ein Bündnis gegen rechts, das sich nicht konsequent gegen jegliche Form der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit stellt?
Antisemit:innen zur Demo-Orga einzuladen und auf einer Demonstration zu dulden, steht für uns in einem Widerspruch zu einem Kampf gegen Rechtsextremismus. Gerade in Zeiten, in denen sich die antisemitische Stimmung global drastisch aufheizt, in denen Jüdinnen und Juden akuten Bedrohungen ausgesetzt sind, muss sich klar gegen Antisemitismus positioniert werden.
Das Treffen in Potsdam fand in der unmittelbaren Nähe der Villa am Wannsee statt, wo vor 82 Jahren der systematische, millionenfache Massenmord an den Jüdinnen und Juden Europas geplant wurde. Vor dem Hintergrund ist es umso perfider, wenn in Eisenach eine Großdemo gegen Nazis wegen antisemitischer Vereinnahmung abgesagt wird, sich Israel-solidarische Gruppen in Münster gezwungen sehen, ihre Redebeiträge abzubrechen und sich jüdische Menschen auf den aktuellen Demos gegen rechts nicht sicher fühlen.
Antisemitismus ist keine Meinung und keine innerlinke Debatte, Antisemitismus ist gefährlich. In unserer Idee des Antifaschismus ist kein Platz für Antisemitismus – weshalb wir uns gegen eine Beteiligung an der Demo-Orga, sondern nur für einen Redebeitrag entschieden. Denn Antisemitismus muss benannt und bekämpft werden – auch in den eigenen Reihen.
Wir sind aber auch zwiegespalten, weil die aktuelle Protestwelle zwar gut, wichtig und richtig ist, aber vor allem ist sie auch längst überfällig. Die „Gefahr von rechts“ existiert nicht erst seit gestern und rechte Gewalt ist keineswegs ein neues Phänomen.
Seit Ewigkeiten machen linke Gruppen, antifaschistische Recherchen, Opferberatungsstellen und zivil-gesellschaftliche Akteur:innen darauf aufmerksam, wie real die Bedrohung durch die erneute Faschisierung der Gesellschaft ist und wie tief die Netzwerke der extremen Rechten bis in die sogenannte „Mitte“ der Gesellschaft hinein verankert sind. Seit Ewigkeiten wird darauf aufmerksam gemacht, wie akut die Gefahr von rechtem Terror ist. Seit Jahren steigt die Zahl der Fälle rechts-motivierter Gewalttaten. Seit Jahren warnen Opferberatungsstellen vor einer weiteren Eskalation. Für viele ist es mittlerweile zur Normalität geworden, in dauerhafter Angst vor rechter Gewalt zu leben und sich nicht mehr alleine auf die Straße zu trauen. Gerade Migrant:innen, Queers, Linke und jüdische Menschen, also all jene – die nicht als Teil der deutschen Volksgemeinschaft gelten – sind davon besonders betroffen.
Der Faschisierung der Gesellschaft wurde viel zu lange Zeit nur zugeschaut und man kann es nicht anders sagen: Der bürgerliche Rechtsstaat hat in der Bekämpfung von Rechtsextremismus zutiefst versagt. Immer wieder kommen Nazis mit Geldstrafen davon, immer wieder werden rechte Straftaten als „Einzelfälle“ abgetan und gar nicht als solche geahndet, immer wieder werden Nazis durch Polizei, Staat und Bundeswehr geschützt oder gar unterstützt.
Erst vor einer Woche endete der erste Prozess gegen Neonazis, die 2018 an den gewaltsamen Ausschreitungen in Chemnitz teilgenommen hatten und gemeinsam Jagd auf Linke, Migrant:innen und jüdische Menschen machten. Bei diesem Schulterschluss von AfD, Pegida und Prochemnitz wurden Gegendemonstrant:innen von den Faschos angegriffen, verfolgt und verletzt. Das Urteil ist einfach nur traurig, peinlich, zynisch und macht wütend. Das Verfahren wurde über Jahre verschleppt und nun eingestellt, es gab keine einzige Verurteilung und lediglich 1.000 Euro Geldstrafe für „gemeinnützige Zwecke“. Nicht nur, dass dies für die Opfer ein verheerendes Urteil und ein Schlag in die Fresse ist, nein, es ist ein klares Zeichen an Nazis und Rechte, dass sie tun und lassen können, was sie wollen. Dass sie weiterhin ihre menschenverachtenden, rassistischen und antisemitischen Gewaltphantasien in die Tat umsetzen können, ohne dabei mit irgendwelchen Konsequenzen leben zu müssen. Dass sie sich selbstsicher, gestärkt und mächtig fühlen können, da sie Justiz und Staat auf ihrer Seite haben. Wie sonst soll man diese Urteile verstehen?
Und als ob das nicht reichen würde: Während sich Nazis frei auf der Straße bewegen können, ohne jegliche Repression fürchten zu müssen, wird antifaschistischer Protest immer mehr kriminalisiert. Sei es wegen der Teilnahme an einer Demo, die in Jena, Erfurt und Leipzig zu zig Hausdurchsuchungen geführt hat, der Einkesselung von 1000 Demonstrant:innen über mehr als 10 Stunden in Leipzig, die unverhältnismäßig hohen Haftstrafen für Antifaschist:innen: die polizeiliche Repression gegen Antifaschist:innen ist so stark wie lange nicht.
Immer noch beruft sich die bürgerliche Mitte auf die Hufeisentheorie. Und auch auf Demos wie diesen steht auf Plakaten „gegen jeden Extremismus – ob von links oder rechts“ – so auch in Gießen. Wir können dazu nur den Kopf schütteln, denn es macht einen Unterschied, ob für eine bessere Welt und das gute Leben gekämpft wird oder ob es um Abwertung, Ausschluss und Verfolgung bestimmter Menschengruppen geht.
Wer weiß, wo wir ohne linken und antifaschistischen Widerstand heute stehen würden. Antifaschistischer Widerstand – auch militanter – ist und bleibt wichtig, gerade heute, gerade jetzt.
Daher fordern wir Euch alle auf: solidarisiert euch.
Geht solidarisch gegen Repressionsmaßnahmen vor, organisiert euch in emanzipatorischen Zusammenhängen gegen eine zunehmende Faschisierung und unterstützt antifaschistische Aktionen.