Redebeitrag: Zum internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen (25.11.21)

Am 25.11.21 beteiligten wir uns als Gruppe mit einem Redebeitrag an der Demonstration des AFLR’s.

In unserem Redebeitrag zum 25. November möchten wir mit euch über unseren Alltag sprechen denn wir haben ein Problem. Ein gesamtgesellschaftliches Problem, das uns alle betrifft. Aber heute wollen wir, dass alle cis Männer unter euch versuchen, sich während des Redebeitrags in unsere Realität hinein zu versetzen und sich über die Dimension des Problems Gedanken machen. Denn wir als weiblich sozialisierte Personen machen uns immer Gedanken. Seitdem wir uns erinnern können, wurde uns signalisiert: schützt euch, denn ihr seid permanent in Gefahr. Geht abends nicht allein in den Park, wechselt die Straßenseite, telefoniert auf dem Heimweg oder täuscht zumindest vor ihr würdet telefonieren, wenn euer Akku leer ist. Haltet euren Schlüssel als Waffe bereit oder habt immer ein Pfefferspray dabei. Und sagt dann auch Bescheid, wenn ihr gut nach Hause gekommen seid. Für ungefähr die Hälfte der Bevölkerung ist all das, was wir gerade gesagt haben komplett trivial – und genau das finden wir skandalös. Wir müssen uns permanent Gedanken machen, während cis Männer dies nicht tun. Die beschriebene Auseinandersetzung sehen wir als eine tägliche, durchgehende Androhung von Gewalt, die uns massiv einschränkt und unser Leben schon immer prägt.

Weiblich sozialisierte Personen und insgesamt alle FLINTA*s werden bei gleicher Lohnarbeit schlechter bezahlt, kümmern sich um andere und, worauf wir hier hinweisen wollen, kümmern sich auch ausgiebig um ihre eigene Sicherheit, unter anderem durch die oben genannten Strategien, die wir benötigen, um durch unsere Leben zu gehen. Wir entwickeln diese weiter, zum Beispiel durch Selbstbehauptungs- oder Selbstverteidigungstraining – aber noch immer sind es letzlich Strategien, spitzfindig gesagt unter dem Deckmantel des Empowering, um in der Welt ein gewisses Maß an Sicherheit anzustreben. Doch egal was wir tun, jeder von uns kann jederzeit etwas passieren. Wir sind nicht das Problem und doch verwenden wir soviel Energie darauf, uns auf potenzielle Gefahren vorzubereiten. Wir setzen uns konstant damit auseinander, dass wir in Gefahr sind. Wir versuchen, früh zu intervenieren, um Grenzüberschreitungen vorzubeugen. Unsere Strategien ändern sich, aber die Mehrarbeit hört nicht auf.

Und das Schlimme an dieser Situation: bis jetzt gibt es dazu keinen Ausweg. Wir selbst wenden diese Strategien an und sorgen uns um unsere Genoss*innen, Freund*innen und weiblich sozialisierte und weiblich gelesene Familienmitglieder. Denn die Gefahr ist Realität – Catcalls gehören sowieso zum Alltag, verfolgt wurden wir abends auch fast alle schon einmal und von Übergriffen kanndie Mehrzahl weiblich gelesener Personen mit Sicherheit berichten. Und das, obwohl der öffentliche Raum noch nicht mal der Gefährlichste ist: denn wenn wir es nach Hause geschafft haben, unseren Freund*innen Bescheid gegeben haben und denken, dass wir uns endlich nicht mehr um unsere Sicherheit sorgen müssen, dann wird es eigentlich erst richtig gefährlich. In den eigenen vier Wänden widerfährt FLINTA*s die meiste Gewalt.

Auch linke Räume, die uns suggerieren, dass sie sogenannte Schutzräume wären, sind von Gewalt gegen weiblich gelesene Personen und FLINTA*s keineswegs frei. Durch Mechanismen, wie, dass jeder (und ich benutze hier bewusst das Maskulinum) Feminist sei – wird die Thematisierung von Grenzüberschreitungen ungemein erschwert. Immer wieder kommt es zu Übergriffen bis hin zum Femizid-Versuch, wie eine Veröffentlichung im letzten Jahr über ein Mitglied des DIDF-Vorstandes in Marburg aufzeigt. In Deutschland wird jeden Tag versucht, einen Feminizid zu begehen, bis Ende September diesen Jahres wurde jeden zweiten Tag eine Frau umgebracht. 58% der weltweit ermordeten Frauen im Jahr 2017 wurden durch den eigenen Partner oder andere Familienmitglieder umgebracht. Wir sprechen hier von 50.000 Frauen, was 137 Feminizide pro Tag bedeutet. Und die misogyne Berichterstattung erdreistet sich, Besitzansprüche bis hin zum Mord „Liebe“ zu nennen.

Wir hatten bis eben von den alltäglichen Strategien gesprochen, doch natürlich sind diese nur eines von vielen Symptomen des kapitalistischen Patriarchats. Genauso gehören häusliche Gewalt und sexualisierte Gewalt zum Alltag vieler FLINTA*s. Ob in Zwangsehen oder wenn FLINTA*s zur Hausarbeit gezwungen werden, die Formen der Ausbeutung und Gewalt sind endlos.

Wir möchten außerdem auf ein Beispiel aus dem letzten Fight Femicide Vortrag von der Sex Worker Action Group hinweisen: Kriminalisierung von vor allem migrantischen Sexarbeitenden und entmenschlichende Stigmata, erschweren es Sexarbeitenden seitens der Behörden und der Gesellschaft, bei Gewalt aktiv zu werden. Oft von selbstbestimmter Sexarbeit abzugrenzen, sofern wir uns durch Lohnarbeit dem kapitalistischen Patriarchat entziehen können, kreieren Zwangsprostitution und Menschenhandel Grauzonen und Dunkelziffern, wo erlebte Gewalt oft unsichtbar bleibt.

Zusammenfassend gibt es psychische, physische und sexualisierte Gewalt gegen weiblich sozialisierte und weiblich gelesene Personen in vielen Ausführungen. Doch da wir uns aktiv füreinander einsetzen, bleiben wir nicht alleine und werden weiter solidarisch füreinander kämpfen und einstehen.

Es gibt Hilfsangebote, die wir nutzen können. An dieser Stelle wollen wir auf ein paar dieser Organisationen hinweisen: Wildwasser, der Frauennotruf, Frauen helfen Frauen, das Autonome Frauenhaus Gießen, WenDo oder Suse-sicher und selbstbestimmt.

Generell müssen wir uns zu diesen Themen informieren und damit spreche ich alle hier an – nicht nur die FLINTA*s. Denn für die gesamtgesellschaftliche Veränderung die wir anstreben muss die tagtägliche Auseinandersetzung mit und Erfahrung von Gewalt für FLINTA*s aufhören – denn das Problem liegt bei den Tätern, statistisch gesehen meist cis Männern, und nicht bei uns. Vergesst all diese Themen und Zahlen nicht morgen bis ihr sie dann am 8. März wieder kurz rausholt. Informiert euch bei der Veranstaltungsreihe Fight Femicide. Kommt am Samstag, dem 27. November, in die Rakete zur Soli-Kneipe. Und an alle FLINTA*s: vernetzt und organisiert euch – denn nicht nur bei dieser Abenddemo in take back the night Tradition, sondern auch danach, bleibt unsere Präsenz bestehen.

Wir möchten abschließend noch einmal allen cis Männern sagen, was wir schon immer wissen: alltägliche Sorgen um unsere Sicherheit und oft auch alltägliche Grenzüberschreitungen sind da und gehen nicht weg, bis sich unsere Gesellschaft nicht komplett ändert. Wir wollen nicht darauf hinaus, dass sich fortan alle Menschen abends Gedanken machen, sondern dass keiner, und vor allem keine, von uns dies mehr muss. In diesem System bleibt das eine Utopie, deshalb müssen wir alle konsequent gegen Gewalt vorgehen. Das bedeutet unter anderem: FLINTA*s supporten, nachfragen, eingreifen!

Und deshalb: Gegen Patriarchat und Kapital- Feministischer Kampf international!