Zum Anlass des Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen möchten wir die Broschüre „Keine Mehr! Über Femi(ni)zide und das Ende des kapitalistischen Patriarchats“ vorstellen.
2021 haben Redical M und die Gruppe für antifaschistische und feministische Arbeit (GA+FA) aus Göttingen, eine Broschüre über kapitalistische, patriarchale Gewalt in ihrer zugespitzten Form der Femi(ni)zide herausgebracht. Diese haben sie nun im Rahmen einer 2. Auflage im November 2024 überarbeitet, erweitert und erneut veröffentlicht.
Unter anderem werden in der Broschüre die Verstrickung von Femi(ni)ziden mit verschiedenen Formen menschenfeindlicher Ideologien wie Queerfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus, sowie die Aufrechterhaltung der kapitalistischen, patriarchalen Ordnung durch Exekutivinstrumente wie Misogynie, dem kapitalistischen Staat und der Justiz beleuchtet.
Die Broschüre ist nicht nur unheimlich informativ, sondern erläutert (auf verständliche Weise) grundlegende Konzepte, wie zum Beispiel wie Besitzansprüche von Männern an Frauen mit einer materialistischen Analyse des Kapitalismus zu erklären sind, und warum die Abschaffung des kapitalistischen Patriarchat gegen den Staat passieren muss. Daher möchten wir das Lesen dieser Broschüre ausdrücklich empfehlen.
Die Broschüre gibt es hier digital zu lesen: https://redicalm.org/uber-feminizide-und-das-ende-deskapitalistischen-patriarchats/
Im folgenden möchten wir einige Teile dieser Broschüre beleuchten:
Femizid: Femizid ist ein Begriff aus den 70er Jahren, der von Diana Russel geprägt wurde. Er benennt den Mord an Frauen durch Männer, weil sie Frauen sind. Auch Menschen, die als Frauen wahrgenommen werden sind von Femiziden betroffen, da der Mord auf purer Frauenfeindlichkeit beruht (vgl. Redical M, GA+FA 2024: 9).
Femi(ni)zid: Dieser Begriff nimmt die geschlechtsspezifischen Machtstrukturen, welche zur Ermordung von Frauen und Mädchen führen in den Fokus der Analyse. Es geht also um individuelle Einzeltäter aber auch um “die gesellschaftlichen Strukturen und Machtverhältnisse, durch die diese systematische Gewalt entsteht, begründet in sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Ungleichheiten” (ebd.).
Recht ohne Gerechtigkeit
In Deutschland gibt es keine offizielle Erfassung von Femi(ni)ziden. Die feministische, aktivistische Organisation One Billion Rising hat (im Jahr 2023) 194 Femi(ni)zide, die Seite Femizide stoppen! hat 119 Femi(ni)zide dokumentiert (vgl. ebd.: 9 f.). Denn juristisch gibt es keine separate Definition von Femi(ni)ziden. Das führt dazu, das diese im deutschen Rechtssystem eben nicht in ihren Spezifika erkennbar oder artikulierbar werden. Die deutsche Justiz wird jedoch auch nicht die Lösung sein, denn letztendlich geht es um das Erkennen, Verstehen und Bekämpfen der Ursachen für Femi(ni)zide (vgl. ebd.: 11). Obwohl Gewalt gegen Frauen und Femi(ni)zide individualisiert werden, sind ihre Ursachen gesellschaftlich: es ist das kapitalistische Patriarchat – die gewaltvolle Ordnung der Gesellschaft.
Das kapitalistische Patriarchat
Kurzgefasst kann das Patriarchat als Vorherrschaft des Männlichen über alles Nicht-Männliche verstanden werden. Darunter fällt die Aufteilung in und Konstruktion von Männlichkeit und Weiblichkeit sowie einer darin angelegten Abwertung von Weiblichkeit. Die darin verwurzelte Unterdrückung findet dabei sowohl auf gesellschaftlicher als auch auf individueller Ebene statt. Sie geschieht systematisch und geht mit einer Objektivierung von Frauen einher. Als Objekte können Frauen angeeignet, genutzt und notfalls auch zerstört werden. Femi(ni)zide sind daher das Resultat eines Systems, in dem patriarchales Anspruchsdenken, Misogynie und Gewalt an der Tagesordnung sind.
(ebd.: 12)
Die Beschreibungen von männlich und weiblich, bzw. Frauen und Männer gelten hier als sozial konstruierte analytische Kategorien, entlang derer Individuen und die Gesellschaft vom Patriarchat strukturiert werden (vgl. ebd.: 13).
Selbstverständlich gibt es verschiedene Körper und Genitalien. Sozial konstruiert ist jedoch, wie diese über die Kategorie »Geschlecht« mit Bedeutung aufgeladen werden. Und auch was wir mit diesen Körpern machen, wie wir unsere Körper formen, ist letztendlich gesellschaftlich vermittelt und nicht naturgegeben.
(ebd.)
Die Durchsetzung der geschlechtspezifischen Arbeitsteilung erfolgt zum einen ökonomisch, zum anderen mittels direkter Gewalt von Männern gegen Frauen. Selbstverständlich leiden auch Männer unter dem Patriarchat. Allerdings haben sie, im Gegensatz zu Frauen, ein “persönliches Interesse an der Aufrechterhaltung dieser Strukturen, das sie im Zweifelsfall mit Gewalt durchsetzen – bis hin zum Mord” (ebd.: 29). Verselbständigter, irrationaler, misogyner Hass und seine Äußerung in Gewalt und Femi(ni)ziden soll dabei auch als Warnung für alle Frauen dienen, die sich aus der ihr zugewiesenen Rolle emanzipieren wollen (vgl. ebd.: 30).
Letztendlich sehen Männer nach dieser Logik die Körper und die Arbeitskraft von Frauen als Privateigentum an, welches durch den Eigentümer zerstört werden kann. „Damit werden lohnabhängige Männer zugleich für ihre sonstige Eigentumslosigkeit »entschädigt« und können sich somit leichter mit den Verhältnissen arrangieren. Auch in dieser Form stabilisieren Femi(ni)zide also kapitalistische Verhältnisse” (ebd.). Das Ganze verschlimmert sich in (ökonomischen) Krisen, wenn Männer, anstatt das kapitalistische System in Frage zu stellen, lieber ihren Frust an Frauen auslassen und somit zum “Fortbestand der kapitalistisch-patriarchalen Grausamkeit beitragen” (ebd.: 31).
Der kapitalistische Staat konstituiert sich nicht nur aus der Konfliktregulierung zwischen Klassen und Kapitalfraktionen, er sichert auch seine ökonomische Grundlage aus erwirtschaftetem Profit, welcher noch immer auf dem Rücken von Arbeitenden und vor allem Frauen generiert wird (vgl. ebd.: 31).
Denn einerseits kann Profit nur dann gesichert werden, wenn die Arbeitskraft der Einzelnen immer mehr ausgebeutet wird. Andererseits ist das Kapital […] auf die Reproduktion der Arbeitskraft angewiesen. Da es sich für das Kapital nicht rentiert, die Kosten der Reproduktion zu übernehmen, ist es der Staat, welcher die Koordination der Reproduktion übernimmt. Dabei lagert er die Reproduktion aufs Private aus, indem er durch seine Familiengesetzgebung Institutionen wie Ehe und Familie stärkt.
(ebd.: 31 f.)
Die Reproduktion von Arbeitskräften wird dabei auch mittels einer direkten Kontrolle der Gebärfähigkeit kontrolliert, was sich im Paragraphen §218 zeigt, der Abtreibungen verbietet und aus Körpern von Frauen und gebärfähigen Personen öffentlich verhandelbare Objekte macht (vgl. ebd.: 32).
Der Staat überzieht diejenigen, die tatsächlich das Patriarchat abschaffen wollen, mit Repressionen und befriedet reformistische Teile der feministischen Bewegung. Die Überwindung des kapitalistischen Patriarchat muss auch gegen den Staat durchgesetzt werden (vgl. ebd.: 33).
Sexismus wirkt mit weiteren menschenfeindlichen Ideologien wie Queerfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus zusammen. Diese werden ebenfalls systematisch aus gesellschaftlichen Verhältnissen hervorgebracht und miteinander verknüpft.
In Femi(ni)ziden gegen trans Frauen etwa vermischt sich Misogynie mit Queerfeindlichkeit. In rassistischen Narrativen über sogenannte Ehrenmorde wird patriarchale Gewalt damit gestützt, dass sie lediglich als Phänomen »fremder« Kulturen imaginiert wird. Und Reaktionäre, die sich vom Feminismus bedroht sehen, wähnen diesen im Zusammenhang mit einer jüdischen Weltverschwörung, wodurch sich Antifeminismus mit Antisemitismus mischt, und beides zusammen auch immer wieder zum Mordmotiv wird.
(ebd.: 34 f.)
Auch selektive Solidarität gegenüber bestimmten Personengruppen stabilisieren den Fortbestand dieser Narrative, auch unter Linken.
Eine Entmenschlichung jüdischer Frauen wird deutlich, wenn Vergewaltigungen und Tötungen dieser als Akt der Befreiung umgedeutet werden. Durch eine Verschränkung von Antisemitismus und Antifeminismus wird das eine — bewusst oder unbewusst — nicht zu einer Erklärung, sondern auch zu einer Stütze des anderen. Antisemitische, rassistische und antifeministische Ideologien stützen also das kapitalistische Patriarchat, sie sind Teil des gewaltvollen Gesamtzusammenhangs, den es zu bekämpfen gilt.
(ebd.: 48)
Wofür es sich zu kämpfen lohnt
Was wir wollen, ist eine grundlegend andere, eine solidarisch organisierte Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die direkt und ohne Umwege nach den menschlichen Bedürfnissen funktioniert. In der wir gemeinsam planen und produzieren, was wir für ein gutes Leben für alle brauchen, und alle zwischen Notwendigkeiten und Fähigkeiten beitragen, so gut sie können. In der die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung zur freien Entwicklung aller ist. Unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe oder ähnlichem. Das heißt: eine Gesellschaft, die nicht auf Konkurrenz, sondern auf Kooperation baut. Eine solche Gesellschaft jenseits von Lohnarbeit und Eigentum braucht keine Trennung in Produktion und Reproduktion. Und erst recht keine Abwertung von Care-Arbeit. Sie funktioniert nicht mit Staaten, die die Bedingungen für »erfolgreichen« Ausschluss, Ausbeutung und Unterdrückung erst schaffen. Ein wirkliches Ende patriarchaler Gewalt wäre möglich. Für eine solche Gesellschaft setzen wir uns ein, und wir glauben, dass sie nicht durch Reformen, sondern nur durch eine revolutionäre Überwindung des Bestehenden zu erreichen ist.
(ebd.: 51)
Der Aufbau breiter kämpferischer Bewegungen ist die einzige Möglichkeit, patriarchale Strukturen zurückzudrängen, das kapitalistische Patriarchat zu stürzen und eine Welt zu schaffen, in der es keine Femi(ni)zide mehr gibt. Ein Anfang dazu kann sein, sich zu informieren und gemeinsam zu bilden über die beschissenen Umstände, in denen wir leben, sich in Gruppen und Organisationen zu organisieren, die diese überwinden wollen. Schließt euch uns oder einer anderen feministischen, antikapitalistischen Gruppe an und kämpft mit uns: Für ein Ende der Gewalt, für das Ende des kapitalistischen Patriarchats!
(ebd.: 54)
Lest die gesamte Broschüre hier: https://redicalm.org/uber-feminizide-und-das-ende-deskapitalistischen-patriarchats/
Redical M, GA + FA. Keine Mehr! Über Femi(ni)zide und das Ende des kapitalistischen Patriarchats, 2. Aufl., 2024.