Über Ansprüche & Widersprüche – Eine solidarische Antwort an Zinista.Zinista

Um es vorwegzunehmen. Wir finden es gut, wenn Kritik an uns geäußert wird, da wir nur mit Kritik Fehler reflektieren und gemeinsam daraus lernen können.

Wir möchten dabei die Gelegenheit nutzen, um auf die Punkte der Kritik einzugehen und unsere Gedanken offen und ehrlich mitzuteilen. Da wir davon ausgehen, dass die Kritik sich nicht nur konkret am fehlenden Redebeitrag von uns auf der Demonstration „Auf die Straßen gegen patriarchale Gewalt“ zum 25.11 richtet, werden wir auch Punkte, die über die Kritik hinaus gehen, benennen.

Wir verstehen die Frust und Wut, dass am 25.11 so wenige Menschen auf der Straße waren und es nur 3 Redebeiträge gegeben hat. Auch Personen von uns waren sowohl überrascht, als auch enttäuscht, dass sich so wenige Teilnehmer:innen an der Demonstration beteiligten. Besonders, weil bei den letzten feministischen Demonstrationen in Marburg so viele mitgekommen sind. Das es so war, finden wir sehr schade, insbesondere für alle Orgapersonen.

Wir wurden recht früh von einer Orgagruppe der „Feministischen Kampftage“ gefragt, ob wir ein Redebeitrag halten wollen. Wir haben gesagt, dass wir das gerne tun möchten. Angedacht war ein Redebeitrag zu „Incels“. Dieser hat offensichtlich nicht stattgefunden. Aufgrund von Krankheit und persönlichen Struggles haben wir es nicht geschafft einen Redebeitrag zu halten. Dass wir diesen Umstand viel zu spät kommuniziert haben, tut uns sehr Leid. Wir können verstehen, wie frustrierend es ist, wenn man mit einem Redebeitrag rechnet, der dann nicht eingereicht wird. Dennoch haben wir oft das Gefühl, dass bei politischen Gruppen nicht gesehen wird, dass sich dahinter Menschen befinden, die neben Lohnarbeit, Studium, Ausbildung, Carearbeit und Familie noch den Rest der Zeit dazu nutzen, um für ein besseres Leben zu kämpfen. Wir sind Menschen, die aufgrund unseres Alltags, und manchmal mit allem, was sonst in der Gesellschaft passiert, auch überfordert sind. Und besonders jetzt, in Zeiten der Faschisierung, müsste es nicht verwunderlich sein, dass das auch Auswirkungen auf uns hat.

Unser Anspruch ist es dabei, dass wir kapitalistische Logik der Arbeit, die sich auch in politischer Arbeit niederschlägt, reflektieren. Oder, um es konkret zu machen: Uns ist egal, ob Gruppen viel oder wenig machen, viel oder wenig aktiv sind. Da genau aus diesem Denken heraus auch eine Konkurrenzlogik zwischen Gruppen entsteht, die „richtig aktiv sind und deswegen als stabil angesehen werden“ und Gruppen „die viel zu wenig machen würden“. Abseits dessen sehen wir auch, dass politische Arbeit sich nicht nur an Outputs nach außen, also in Form von Vorträgen, Demos, Kundgebungen, Flugblätter etc. bewertet werden soll, sondern genauso nach innen, also in Zusammenhängen, passieren muss. Wir finden es somit schade, wenn dann eine Erwartungshaltung da ist, dass Gruppen „mehr machen müssen“. Wir hören das nicht aus der Kritik heraus, uns ist es aber wichtig, dass trotzdem zu benennen. Wir sehen uns nicht als Dienstleister der linken Szene an, sondern versuchen das zu machen, was wir nun mal können. Ansonsten würden wir alle im Burnout landen, was schon so viel zu oft innerhalb der politischen Arbeit aufgrund der eigenen Ansprüche geschieht.

Für uns ist Feminismus kein Nebenwiderspruch, sondern muss sich auch in allen Kontexten politischer Kämpfe zeigen. Das verstehen wir für uns als einen Teil intersektionaler Ansätze. Uns wurde in der Vergangenheit rückgespiegelt, dass wir als Gruppe nicht als feministische Gruppe wahrgenommen werden. Wir verstehen nicht, woher diese Wahrnehmung resultiert und sind da sehr an einem Austausch interessiert. Seit Beginn der Gruppengründung habe wir uns klar feministisch positioniert und diese auch nach außen getragen, zum Beispiel über unsere Vortragsreihe „Materializing Feminism“. Wir haben das Gefühl, dass hierbei eine Unterscheidung gemacht wird zwischen „mehr feministisch“ und „weniger feministisch“. Vielleicht liegen wir mit dieser Annahme auch falsch, aber wir finden diese Unterscheidung nicht gut, da hier wieder eine Hierarchisierung gemacht wird, die schlussendlich zu Konkurrenzdenken führt. Wir machen ja auch keine Unterscheidung auf in Gruppe XY ist weniger antifaschistisch, da sie wenig Antifaarbeit macht. Für uns ist entscheidender zu wissen, wie sich Gruppen und Zusammenhänge zu einzelnen Themen positionieren, als das, was sie dann daraus machen.

Dass die linke Szene männerdominiert ist und die Arbeit von Frauen und Queers unsichtbar gemacht wird, sehen wir. Das ist ein Problem und muss als solches benannt werden. Die Aufgabe jeder linken Gruppe und Person ist es, diese patriarchalen Tendenzen zu reflektieren. Im Umkehrschluss haben Frauen und Queers in unserer Gruppe ständig das Gefühl, dass die feministische Arbeit, die gemacht wird, unsichtbar bleibt und nicht gesehen wird. Dabei ist es so, dass seit einiger Zeit mehr Frauen und Queers bei uns organisiert sind als Cis-Typen und wir seit einiger Zeit eine Geschlechterquotierung haben. Diese Unsichtbarmachung finden wir nicht nur schade, sondern unsolidarisch. Abseits dessen würden wir gerne den Mythos abstreifen, dass wir eine männlich-dominierte Antifa-Gruppe seien. Wir sind keine Antifagruppe, auch wenn für uns Antifaschismus ein wichtiges Themenfeld ist, woran wir arbeiten.

Bisher haben wir uns auch, um ehrlich zu sein, nicht an dem feministischen Bündnis „Feministische Kampftage“ aktiv beteiligt, was an einer grundsätzlichen Strukturfrage unserer Gruppe liegt. Nämlich, dass wir eine geschlossene Gruppe sind. Die wenigsten von uns treten öffentlich als Mitglieder unserer Gruppe auf. Es ist bei uns eine individuelle Entscheidung, ob Menschen das tun möchten oder nicht. Das machen wir, damit wir uns vor Repression einigermaßen schützen können. Dieser Umstand führt aber genau dazu, dass wir uns nicht am feministischen Bündnis beteiligten und wir auch bei Demonstrationen in Marburg eher unauffällig sind, sowie unsere Redebeiträge aufgenommen abgespielt werden. Wir möchten auch nicht in Bündnissen sitzen und so tun, als wären wir nicht Teil einer Gruppe, da wir das unehrlich gegenüber allen Bündnisbeteiligten fänden. Und um es auch zu benennen: Geschlossene Gruppen sind nicht gleich „cool“ oder „besser“ oder „gefährlicher“ als offene Gruppen.

Auf die kritische Frage „Wo waren die Gruppen, die sonst auf jeder Demo & zu jedem Thema was zu sagen haben“ wollen wir antworten: Ja, wir haben den Anspruch uns an verschiedenen Kämpfen zu beteiligen. Leider schaffen wir es nicht uns an allen Demonstrationen zu beteiligen und zu jedem Thema was zu sagen. Sowohl an antirassistischen, als auch an Klimakämpfen haben wir uns beispielsweise bisher sehr wenig beteiligt. Das ist auch eine Selbstkritik, die wir an uns formulieren.

Schlussendlich kommt bei uns der Eindruck auf, dass es wie so oft um die Differenz von Anspruch und Widerspruch geht. Wir, sowohl als Gruppe als auch als linke Individuen haben diesen Anspruch, doch sind oft genug mit dem Widerspruch des Alltags konfrontiert, woran wir auch mal scheitern. Wir hätten uns sehr gerne an der Orga beteiligt und hatten auch vor, einen Redebeitrag zu halten. Geschafft haben wir es aus Gründen wie Workload und Krankheit nicht. Natürlich wünschen wir uns, dass es in Zukunft anders wird und daran werden wir auch arbeiten. Wir wünschen uns aber auch, dass die bisherige feministische Arbeit von Frauen und Queers unserer Gruppe gesehen wird. Das alles bedeutet nicht, dass wir uns die Kritik nicht zu Herzen nehmen und uns damit nicht auseinandersetzen werden. Selbstreflexion halten wir für einen wichtigen Bestandteil politischer Arbeit. Die an uns geäußerte Kritik sehen wir somit sowohl als Aufforderung, als auch Einladung an sich mehr an feministischen Kämpfen zu beteiligen. Da es nie genügend Feminismus geben kann, nehmen wir diese an.